Montag, 3. April 2017

Silence: wenn der Glaube schmerzt

Ich bin kein großer Filmfreund, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der aktuelle Trend regelmäßig 2-Stunden-Filme hervorbringt, als seien die klassischen 90 Minuten nicht mehr ausreichend, den meist oberflächlichen Inhalt darzustellen. "Zwei Stunden meines Lebens, die ich nicht zurückbekomme", lautet daher oft mein Urteil, wage ich mich doch einmal an einen Film heran.

Umso abschreckender waren die 3 Stunden, die Martin Scorsese (der übrigens darauf hinwies, dass sein Name Scorsese und nicht Scorsisi laute) seinem aktuellen Film "Silence" einräumt. Der Stoff (nachzulesen auf Wunsch bei Wikipedia), eine Romanverfilmung mit historischem Hintergrund, klang aber interessant genug, sich dem auszusetzen. Kurzfassung: 2 Jesuiten machen sich im 1638 auf den Weg nach Japan, um den letzten dort verbliebenen Missionar aufzuspüren, der angeblich vom Glauben abgefallen sei. Die Situation, historisch korrekt, vor Ort: Das japanische Shogunat versucht das Christentum wieder auszurotten, ehe es Wurzeln schlägt (ein Bild, das im Film von großer Bedeutung ist). Folter und Tod durch Kreuzigung oder Verbrennung drohen den Unbekehrbaren. Für 200 Jahre bekannte sich niemand mehr öffentlich zum Christentum!



Filmplakat zu "Silence"


Die Namen der Besetzungsliste werden vielen geläufig sein und können durchaus als Anreiz dienen. Die optische Erscheinung des Films ist mitunter zu stilisiert, es irritiert auch, dass Andrew Garfields Haare und Bart überwiegend wie frisch geföhnt aussehen, war er auch noch so lange in einem Drecksloch untergebracht. Davon soll man sich nicht ablenken lassen, der Film regt zum Denken an, wenn man sich darauf einlässt.



Der Glaube ist groß, die Frisur sitzt. A. Garfield vollzieht als Jesuit im Japan des 17. Jhd. die Wandlung. Bildquelle: thefilmexperience.net




Die zentrale Frage lautet: 
Wie weit darf ich in meinem Bekenntnis gehen? Gibt es Grenzen, gibt es einen Moment, in dem es nicht mehr christlich ist, sich zu Christus zu bekennen? Ohne zu viel zu verraten: Die nicht nur sprichwörtliche Nagelprobe ist es, ANDERE für mein Standhalten leiden zu lassen. Das eigene Martyrium, ja, das nahmen Christen von ihren ersten Tagen an auf sich. Manche suchten es geradezu. Franz von Assisi predigte 1219 während des 5. Kreuzzugs vor Sultan al Malik al Kamil, um sich mit den Moslems intellektuell zu messen, um zu bekehren und - ich wage zu sagen - um das Martyrium zu erleiden.

Das Christentum verbreitete sich nicht zuletzt in der Saat des Blutes der Märtyrer. Wenn Menschen bereit sind, Folter und Tod auf sich zu nehmen, beeindruckt das und lässt vermuten, dass hier mehr als nur eine Hoffnung der Grund hierfür sind. Und Jesus forderte geradezu dazu auf. "Wer sich zu mir bekennt, vor dem will ich mich auch vor meinem himmlischen Vater bekennen." (Mt 10,32, ähnlich Lk 12,8)

Dass ein Christ also sein Kreuz auf sich nimmt, um Jesus zu folgen, gehört zum Fundament des Glaubens (Lk 9,23; Mt 10,38). Wer auch andere dafür leiden lassen will, muss eine radikale Weltverleugnung vertreten, eine radikale Ablehnung des Stofflichen. Hier geht es nicht mehr darum, den Körper Schmerzen erdulden zu lassen. Hier muss bereits eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leib gegeben sein. Die zentralen Filmfiguren - Achtung, Spoiler - scheitern bis auf eine Ausnahme daran. Sie scheitern, und bleiben darin Christen, weil sie von ihrem Mitgefühl übermannt werden. Sie treten auf Jesus, um ihre Brüder und Schwestern zu retten. Erleiden sie damit eine Niederlage? Vielleicht gilt hier das Jesuswort: "Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe!" (Joh 15,12)



Ausstellung "Der Mann aus Nazareth. Mensch - Gott - Mythos"
Stift St. Paul 2015, Bibelstelle Mt 5,12
                           
                               



Die 2. zentrale Frage im Film dreht sich um die Verwendung von christlichen Devotionalien. Es ist für Christen heute überwiegend völlig normal, ein Kreuz zu tragen (was auch viele Nichtchristen tun, sieht offenbar schick aus), ein Kreuz oder Heiligenbilder zuhause aufzustellen oder aufzuhängen. Die (katholische) Kirche hat sich in diesem Punkt durchgesetzt (vlg. Ikonenstreit, Hinwendung zum Schauen und Begreifen im Mittelalter - Reliquienkult!). Theologisch war es ein umstrittener Weg, denn es gibt ein alttestamentarisches Darstellungsverbot von Gott. Jedoch hat der Mensch den Wunsch zu sehen, anzufassen, sich geradezu festzuhalten (wie es auch im Film Kraft gibt). 

So haben wir es mit einem gefühlsmäßigen Argument zu tun, aber auch mit einem didaktischen: 
Des Lesens waren im Mittelalter nur wenige kundig! Wenn wir heute Kirchen besuchen, die Bilder, Fresken und Statuen bewundern und ikonologisch und ikonographisch erkunden, verdanken wir das dem Umstand, dass die Kirche mittels dieser Darstellungen nicht nur protzen wollte (wohl auch und zu oft), sondern dem einfachen Menschen Glaubensinhalte näherbringen wollte. Vieles davon verstehen wir heute nur noch nach Anleitung bzw. Vorbereitung, die Bildersprache ist uns fremd geworden. Jedem Interessierten sei hier der "Physiologus", entstanden im 2.-4. Jhd., in dem die Symbolik von Tieren erläutert wird, ans Herz gelegt (um ca. 5 Euro zu bekommen).

Wir landen hier wieder bei der Frage, welchen Wert das Stoffliche hat. Ist es an sich schlecht? Ist es eine Gefahr, am Ende den Stoff an sich wie das goldene Kalb anzubeten?

Der Doketismus führte bei Sekten wie den Katharern ("Ketzer") dazu, alles Leibliche und Stoffliche abzulehnen. Christus, als Engel, habe nur einen Scheinleib gehabt. Somit seien seine Wundmale nicht echt gewesen, sein Körper ein Trugbild und das Kreuz konsequenterweise daher kein statthaftes Symbol zur Verehrung. Die japanischen Christen im Film finden aber gerade bei mitunter notdürftig zusammengeflickten Kreuzen eine Hilfe, was im Film von einer der Figuren kritisiert wird, fehle doch der theologische Unterbau für ein ernsthaftes Christentum. 



Eine Filmszene, die an das Urchristentum erinnert - Gottesdienst im Untergrund. Bildquelle: sueddeutsche.de

   

Die wenigsten Christen kommen heute in die Zwickmühle, Entscheidungen wie im Film treffen zu müssen. Doch sich bekennen oder nicht, das ist eine Frage, die sich Christen bei uns stellen müssen. Sich in einer Zeit, die glaubt, alles berechnen zu können, alles zu wissen, für Erklärungen keinen Gott mehr zu brauchen, sich in einer Gesellschaft, die Religion als rückständig abtut, hinzustellen und sich zu bekennen, erfordert Mut. Es erfordert auch Wissen, um in der Diskussion bestehen zu können. Beides scheint Mangelware zu sein, die Kirchen sind den Wenigsten hierbei eine Hilfe, sodass Eigeninitiative nötig ist.


Dem "sapere aude" sei ein "confiteri aude "hinzugefügt!









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